Petros
Venedig vom 6. Stock aus

Der Beginn einer Fährenfahrt von Venedig nach Griechenland


Die Touristen auf der Piazza San Marco zählen, die Traumjachten an der Stazione Maritima aus nächster Nähe bestaunen und den Badenden am Lido zuwinken.

Griechenlandurlaube beginnen und enden für mich oft mit Fährenreisen via Triest oder Venedig. Fährschiffe verfügen über enorme Ladekapazitäten, bieten Platz für gut hundertfünfzig LKW-Züge, für hunderte PKWs, für über tausend Passagiere und das auf bis zu zehn Decks. Das oberste Deck entspricht etwa dem sechsten Stockwerk eines Wohnhauses. Die Venedigstrecke bevorzuge ich wegen der inkludierten Besichtigungstour durch den Canale di Fusina, den Canale della Giudecca, an den meisten bekannten Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei, durch den Canale di San Marco hinaus bis auf's offene Meer. Zweimal war mir heuer dieses Erlebnis einer Schleichfahrt durch die Lagunenstadt mit sechs Knoten vergönnt. Zu Urlaubsbeginn am frühen Nachmittag unter sengender Sonne, das zweite Mal in kühlender Frische, eine Stunde nach Sonnenaufgang bei der Rückkehr.

Pötte und Luxusliner

Unmittelbar nach dem Ablegen von der Stazione Maritima gleitet mein Blick gegen Westen zurück auf die drei Kilometer lange Straßen- und Eisenbahn-Brücke nach San Giuliano. Von hier aus übersehe ich aber auch bereits die gesamte Stadt mit ihren unzähligen Campanilen. Wir ziehen vorbei an Werften mit alten, verrosteten Pötten, an hochmodernen, sündteuren Luxuslinern und an einem strahlend weißen Fünfmaster. Ständig umschwirren Liliput-Boote unseren Riesen, die knatternd unserer Bugwelle ausweichen oder pfauchend in diese eintauchen, zum Beweis, dass sie echte Seebären sind, denen das bisschen Geschaukel nichts ausmacht. Röhrend setzt ein schnittiges Schnellboot der Hafenpolizei zum Überholen an. Andeutungsweise salutiert die schicke Uniform mit Sonnenbrille nur mit dem Zeigefinger zu uns herüber, schaltet die Mercury-Motoren auf etwas mehr Speed, dreht aber kurz darauf ab und gleitet unter einer der Brücken ins Stadtinnere.

Winken und Staunen

Eine private Nussschale quält sich inmitten der Wasserstraße tuckernd zwischen zwei Wassertaxis durch, die es sichtlich eilig haben und dem Privaten zeigen, wer hier wichtiger ist. Meiner Meinung ist der Kleine auch viel zu nahe vor uns, denke ich eben noch, als das Hornsignal unserer Fähre mit hundertfachem Echo meinen Brustkorb zu zerdrücken droht. Vor Schreck habe ich den Auslöser meiner Nikon durchgedrückt. Wie auf Befehl reißen alle Touristen entlang des Canale und auf den Ausflugsbooten ihre Arme zum Gruppenwinken in die Höhe. Die Italiener rühren keinen Finger, ihnen ist das Imponiergehabe der großkotzigen Fährschiffe vertraut.

Wir gleiten an ziegelrotbraunen Häuserzeilen vorbei, an Kanäle überspannenden Brückchen und an monumentalen Kirchen, bis der Campo Salute den Blick in den Canale Grande freigibt. Die Piazza San Marco, San Marco selbst, der Campanile, der Palazzo Ducale, das Consorzio Gondolieri, wirken hier aus dem sechsten Stock auf mich besonders eindrucksvoll. Vielleicht liegt es daran, dass ich die Touristenmassen nur sehe und nicht höre und den dumpfen Mief der Kanäle nicht rieche. Gondolieri schaukeln Ihre Schnörkselboote mehr oder minder professionell durch die bleigraublaugrüne Salzbrühe und haben sichtlich mit unserer Bugwellen zu kämpfen.

Ein Kriegsschiff mit Respekt einflößender Bestückung liegt vor Anker. Unsere Fähre löst mit einem neuerlichen ohrenbetäubenden Hornsignal das bereits bekannte Massenwinken aus. Der unverhohlene Fluch des Holländers neben mir beweist, dass er die Videoszene verwackelt hat.

Buntes und Schräges

Der Dom von San Giorgo Maggiore verleitet mich zu einem kurzen Ausflug auf die vis-a-vis-Seite meines Aussichtsplatzes. Bei der Rückkehr hat sich die Menschenkette entlang der Reling geschlossen und ich muss anfangs mit der zweiten Reihe vorlieb nehmen. Mandolinenmusik aus letztklassigen Lautsprechern schallt zur mir herauf, vermischt mit dem Grölen ausgelassener Sportfans, die uniforme Kleidung verrät sie, die Barke ist zum Bersten voll, der Motor gurgelt beängstigend laut und Dieselgestank reizt meine Nasenschleimhäute. Der schiefe Kirchturm von Burano, der mit dem Berühmten aus Pisa punkto Schräglage spielend konkurieren kann, lenkt meinen Blick auf sich. Häuserfassaden in einer kitschigen Farbenvielfalt, deren Spiegelung in den Kanälen und Stricke mit bunter Wäsche von Haus zu Haus begleiten unsere Fahrt. Einunddreißig Fotos habe ich in der vergangene halben Stunde geschossen und wir sind erst beim Lido.

Himmel und Meer

Das behäbig wirkende Lotsenboot, das uns bis hierher begleitet haben dürfte, reduziert seine Geschwindigkeit und gleitet Steuerbord an uns vorbei. Die Enge des Canale öffnet sich langsam. Inseln, Kanäle, Brücken, Parkanlagen, Gärten, simple Wohnsilos, kunstvoll restaurierte Bürgerhäuser, Palazzi, Kirchen, vereinzelt dampfende und rauchende Schlote am Horizont, Fahrräder, eine stotternde Vespa, Spaziergänger, Kinderwagen, verfallene und intakte Bootanlegestellen. Die Weite der Lagune spannt sich über den Horizont, Ruderboote, Fischer, Strandbäder, Badende, Sandbänke, Boote, mit Segeln, mit Motoren, luxuriöse, mächtige, einfache, winzige. Seichtes, sandfärbiges Wasser, soweit das Auge reicht, nur mit einer Fahrrinne für Kolosse, wie unsere Fähre. Der Leuchtturm der Hafenausfahrt verabschiedet uns zum offenen Meer hin. Möwen tanzen über unseren Köpfen oder segeln provokant nahe der Reling vorbei. Endlich reflektiert das Meer die Farbe des Himmels. Mit zweiunddreißig Knoten durchpflügen wir die Adria.


Verfasst von Peter Redl 2008